Diskussion

Hier finden Sie aktuelle Überlegungen zu militärsoziologischen Themen, die Sie auch gerne kommentieren können.

Zu finden als pdf im Newsletter AMS_NL_2020 

Soldat heute – Zum Bedeutungswandel einer Profession 

Mit den folgenden Überlegungen möchte ich Sie gerne zu einer Diskussion über den Bedeutungswandel der soldatischen Profession einladen: 

He’s five feet two and he’s six feet four
He fights with missiles and with spears
He’s all of 31 and he’s only 17
He’s been a soldier for a thousand years
(Buffy Saint-Marie 1964)

Die Textzeilen aus dem Lied „The Universal Soldier“ von Buffy Saint-Maries, die den ewigen Soldaten beschreiben, wurden nicht unmittelbar berühmt. Erst die Version von Donovan aus dem folgenden Jahr machte das Lied zur Friedenshymne. Es beschreibt den Soldaten, der sich selbst mit seinem Leib zur Waffe macht, und es gibt keinen guten Zweck, der dies rechtfertigen würde, keinen Befehlsnotstand, auf den er sich berufen kann. Die wenigen skizzenhaften Kennzeichnungen genügen, um einen Eindruck vom Wesen des Soldaten zu kommen: Er kann jung oder alt sein, groß oder klein, die Waffen mögen über die Zeiten hinweg unterschiedlich sein, doch bleibt sein Wesen über Jahrtausende gleich. Das Wesen des Soldaten ist der Kampf, und Krieg ist sein Geschäft. 

Dabei scheinen Kampf und Krieg zu den ältesten Formen kollektiver sozialer Handlungen zu gehören. Waren sie zunächst Aufgabe der gesamten Gruppe, sind sie spätestens seit dem Neolithikum mit sozialer Differenzierung und Arbeitsteilung verbunden, so dass eine Untergruppe der Gesamtgruppe mit diesen Funktionen betraut wurde. Kämpfer, Soldat zu sein, ist noch nicht einmal an Sesshaftigkeit gebunden, wie nomadenhafte Gesellschaften durch alle Zeitalter hindurch demonstriert haben. 

Die Beziehungen zwischen Soldat und (Herkunfts-)Gesellschaft unterliegen offensichtlich dem Wandel der Zeit, ebenso wie die Technik des Kampfes, die Technologie des Krieges, die Operationsführung und der Umgang mit feindlichen Soldaten und der Zivilbevölkerung. Diese Themenfelder bewegen die Militärwissenschaften und insbesondere die Militärsoziologie dauerhaft, da sie Ausdruck für das gesellschaftlich akzeptierte Maß staatlicher Gewalt in Extremsituationen sind. Hiermit verbunden ist auch der Anspruch auf gesellschaftliche Anerkennung und Alimentierung von Soldaten und Soldatinnen verbunden, generell: der sozialen Positionen, die Soldaten in der Gesellschaft zugeschrieben und zugestanden werden. Diese scheint einem deutlichen Wandel zu unterliegen, der sich in verschiedenen Facetten des Soldat-Seins zeigt:

  • Zunahme der Dynamik technologischer Innovationsprozesse

Technologisch-organisationale und sozial-kulturelle Entwicklung verlaufen nicht in gleichem Tempo (Elbe/Erhardt 2020). Während Kondratjeff (1926) der Meinung war, dass technische Innovationen die Folgen langfristiger konjunktureller Entwicklungen sind, die zu einer Abnahme der Rationalisierungsrate in der jeweiligen Technologie-Phase (Kondratjeff-Zyklen) führe, kam Ogburn (1969) zu der Überzeugung, dass der technische und organisatorische Fortschritt schneller voranschreitet als die sozialen Anpassungsprozesse, so dass es zu einer kulturellen Lücke (cultural lag) komme. Die beiden Sozialwissenschaftler kommen somit zu unterschiedlichen Erklärungen: Bei dem einen ist die Innovation Ursache, bei dem anderen Folge sozialer Anpassungsprozesse. Die sozioökonomischen Entwicklungen und die technisch-organisatorischen Innovationen befinden sich in einem stetigen Wechselspiel, das auch das Militär betrifft. Das Militär und der Rüstungssektor sind teilweise Treiber und teilweise Nachzügler technologischer Neuerungen. Auf mittlere Sicht aber muss sich das Militär jeweils damit auseinandersetzen und entsprechende technologische, organisationale und operative Anpassungen vornehmen. Dies wirkt sich auf die Tätigkeit der Soldaten aus. So hat die Vorstellung von der Distanzwaffe mit der Einführung der Drohne eine neue Bedeutung bekommen: Einerseits bedienen Soldaten Joy-Sticks tausende von Kilometern von dem Kriegsschauplatz entfernt, an dem die ferngesteuerte Drohnenbombe schließlich zum Einsatz kommt. Andererseits erscheint dies doch letztlich nur als gradueller Unterschied zum bekannten Einsatz von Langstrecken-Raketen (seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts) oder generell zum Einsatz von Raketen (seit Beginn des 19. Jahrhunderts) und letztlich zum Einsatz von Distanzwaffen (wie dem Speer) schlechthin. Die Waffe dient der Erweiterung von Reichweite und Wirkmächtigkeit des soldatischen Körpers im Kampf – zugleich verändert dies die soziale Beziehung zwischen den Kontrahenten (sind sie noch Kombattanten?) sowie zwischen den Soldaten und ihrer Herkunftsgesellschaft. Der Drohnen-Soldat geht im Zweifelsfall nach Dienst, nach dem Tötungsakt auf Distanz, nach Hause zur Familie in ein friedliches Umfeld und kommt am nächsten Tag wieder zur Schicht. Darüber hinaus hat das Wort Schlachtfeld mit Beginn des digitalen Zeitalters im ausgehenden 20. Jahrhunderts eine neue Bedeutung gewonnen. Computerprogramme, Bits und Bytes, Trojaner, Viren, Meme und dergleichen mehr werden zu Waffen im virtuellen Raum und man spricht nun vom Cyber-War, vom Informationskrieg und/oder von Hybrid Warfare. 

  • Abnahme von Gewalt 

Während die technischen Potenziale der militärischen Gewaltausübung räumlich, zeitlich und von der qualitativen Wirkung her also konstant zugenommen haben, scheint die faktische Gewaltausübung aus sozialhistorischer Sicht einen Rückgang mit logarithmischem Verlauf aufzuweisen (Pinker 2011). Dies gilt sowohl für die Mordquoten in der Bevölkerung Europas, wo es einen Rückgang um bis zu 95 Prozent seit dem 14. Jahrhundert zu verzeichnen gibt), als auch für die Opferraten zwischenstaatlicher Gewalt gemessen an den Bevölkerungszahlen. Dies ist auf den Zivilisationsprozess, wie ihn bereits Norbert Elias (1997) beschrieben hat, zurückzuführen. „Der historische Prozess der Zivilisation hat die Gewalt nicht beseitigt, aber sie an die sozioökonomischen Ränder der Gesellschaft gedrängt.“ (Pinker 2011:  142) Es sanken also nicht nur die Gewaltraten, sondern auch die gesellschaftliche Akzeptanz der Gewaltausübung. Damit wird aber auch die Legitimität soldatischen Gewalthandelns zunehmend in Zweifel gezogen. Grundsätzlich bleibt die legitime militärische Gewaltausübung an kollektives Stellvertreterhandeln gebunden und wird durch ethische Grundlegungen und rechtliche Normen begrenzt (Elbe 2019a). Das Militär erzeugt dabei eine eigene Ästhetik und spezifische Wertungen soldatischen Handelns, die teilweise von zivilen Bewertungen abweichen und die das Soldat-Sein in ein Spannungsfeld mit der Gesellschaft stellen können.

  • Wandel globaler Sicherheitsarchitekturen

Mit dem Abschluss der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen 1990 endete die Sicherheitsarchitektur, welche die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt hatte. Global betrachtet war diese charakterisiert vom Systemantagonismus – d.h. vom Weltordnungskonflikt zwischen den USA mit ihren Verbündeten (NATO) und der Sowjetunion samt Verbündeter (Warschauer Pakt) – dem letztlich eine Konkurrenz diametral gegensätzlicher Gesellschaftsentwürfe zugrunde lag. Auf der davon abgeleiteten Konfliktebene der Rüstung und des Militärs führte dies in Europa  im „Kalten Krieg“ zu einer doch recht stabilen Bedrohungssituation, der sich – unter den Vorzeichen der wechselseitigen nuklearen Vernichtung – durch die Gegenüberstellung großer Luft-, Land- und Seestreitkräfte auszeichnete. Die Soldaten waren in einer andauernden Übungsbereitschaft für den großen militärischen Konflikt, so dass begrenzte Konflikte und Einsätze für die Soldaten der Bundeswehr und vieler europäischer Armeen nicht Teil der Ausbildung und des Übungsbetriebs waren. Dies änderte sich mit dem Ende des bipolaren Ost-West-Konflikts 1989/1990. Einerseits nimmt die internationale Sicherheitsarchitektur Züge von Multipolarität an, und andererseits sehen sich deutsche Soldaten nunmehr in verschiedenen multinationalen Sicherheitssystemen (NATO, UN) in internationale militärische Einsätze mit nur teilweise kriegerischem Umfeld integriert, so dass von einer Ausweitung der Funktionen und Aufgaben der Soldatinnen und Soldaten und des Militärs insgesamt, mithin von einer Hybridisierung der Streitkräfte und ihrer Soldaten die Rede ist (Haltiner/Kümmel 2008). Hinsichtlich der Multipolarität zieht Kennert (2015, S. 2) den folgenden Vergleich: „In beiden Phasen, am Anfang des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts, zeichnet sich durch den Aufstieg neuer Mächte Multipolarität ab. In beiden Phasen kann die enge wirtschaftliche Verflechtung den Ausbruch von Konflikten nicht verhindern. In beiden Phasen ist die sicherheitspolitische Ordnung instabil und krisenanfällig.“ Dies führt seit einigen Jahren auch zu einer Renaissance der Landes- und Bündnisverteidigung als militärischer Aufgabe. Unter dem Eindruck des russischen Vorgehens auf der Krim und in der Ukraine haben Landes- und Bündnisverteidigung für das demokratische Europa allgemein und für Deutschland im Besonderen eine neue Gewichtung und wieder größere Bedeutung als noch vor wenigen Jahren gewonnen. Für die Streitkräfte und ihre Soldaten werden somit die Rahmenbedingungen ihres Handelns instabiler, und die Wahrscheinlichkeit, selbst Akteur in einem bewaffneten Konflikt zu werden, steigt.

  • Ökonomie, Demographie und Migration: Eckpfeiler gesellschaftlichen Wandels

Soziale und ökonomische Veränderungsprozesse sind eng miteinander verflochten, so dass die ökonomische Sicht nur eine spezifisch ressourcen- und verteilungsorientierte Perspektive auf das Soziale ist. Im Zuge der Weiterführung des ökonomischen Erfolgs der Industrialisierung verändern sich die Lebens- und Konsumchancen der Menschen weiterhin. Neben den bereits angesprochenen technologischen Innovationsprozessen sind so auch grundlegende gesellschaftliche Veränderungsprozesse wirksam geworden. Die Lebenserwartung ist gestiegen, die Fertilität verbleibt auf niedrigem Niveau. Trotz zunehmender Teilhabe von Frauen an der Erwerbstätigkeit bleiben Genderunterschiede in Einkommenserwartungen, in der Teilhabe an Führungs- und Entscheidungspositionen, in der Übernahme familiärer Betreuungsaufgaben, und anderem mehr, bestehen. Die Dynamiken gesellschaftlicher Veränderungen variieren dabei zwischen Stadt und Land sowie zwischen unterschiedlichen Regionen. Migrationsprozesse betreffen einerseits Inländer (z. B. Abwanderung aus ländlichen Regionen) und verbinden Deutschland andererseits mit globalen Flucht- und Wanderungsbewegungen, die zunehmend auch ökologischen Veränderungsprozessen geschuldet sind. Die Glokalisierung (Robertson 1998), als spezifisch lokale Erscheinungsform globaler Veränderungsprozesse, beeinflusst die Lebensführung der Menschen im Alltag und damit auch die von Soldaten. Dies zeigt sich auch in der Corona-Krise: Eine globale Pandemie führt zu konkreten, aber unterschiedlichen lokalen Konsequenzen, die jeweils unterschiedliche Bedingungen des Lebens und Wirtschaftens mit sich bringen und sich doch zu einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gesamtlage summieren. Die daraus resultierenden Arbeitsmarktbedingungen wirken sich auch auf das Personalmanagement der Bundeswehr (Elbe/Richter 2019) aus und beeinflussen Rekrutierung, Sozialisation und Bindungsverhalten der Soldatinnen und Soldaten. Nach wie vor gilt dabei: „Die Truppe wird bunter“ (Kümmel 2012).

  • Subjektivierung und Biographisierung der Arbeit 

Mit der zunehmenden Diversität in den Streitkräften steigt auch die Individualisierung – aber nicht als einfache Sichtbarwerdung des Einzelnen in der Vielfalt, sondern als Prozess der Subjektivierung der Arbeit (Moldaschl/Voß 2003). Wie auch in anderen Tätigkeitsbereichen wird im Militär der Soldat als arbeitendes Subjekt konzipiert, das in seiner Ganzheitlichkeit wahrgenommen werden will und dessen Kreativität, Leistungs- und Entwicklungsbereitschaft gefördert werden soll – dem entsprechen die Konzeption des Soldaten als „Staatsbürger in Uniform“ und die Ziele zur Persönlichkeitsentwicklung von Soldaten (BMVg 2017). Doch auch Eigenverantwortlichkeit wird in erhöhtem Maß an die arbeitenden Subjekte selbst übertragen; es werden zahlreiche Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des militärischen Dienstes ergriffen, die einerseits die Autonomie des Soldaten hinsichtlich Leistungserbringung, Dienstzeiten, Lebensplanung, Familienfreundlichkeit etc. erhöhen (Richter 2016), andererseits damit aber auch die Verantwortung für die Lebensführung und für die Konsequenzen daraus an das Subjekt zurück delegieren. Speziell für Soldatinnen und Soldaten hat dies die Besonderheit, dass hier umfangreiche rechtliche Befristungsmöglichkeiten des Dienstverhältnisses vorhanden sind und ein Großteil des uniformierten Personals die Streitkräfte nach vier, acht, zwölf oder mehr Jahren wieder verlassen muss. Die Biographisierung der individuellen Karrieren zwischen zivilen und militärischen Lebensabschnitten, die das Subjekt in einer geschlossenen, das eigene Leben kennzeichnenden Erzählung zu integrieren hat, stellt viele Soldaten vor erhebliche Anpassungserfordernisse (Elbe 2019b).

  • Entgrenzung und Begrenzung von Arbeitsbeziehungen 

Mit der Subjektivierung eng verbunden ist die Entgrenzung von Arbeit (Voß 1998). Hiermit ist die Aufhebung der Grenze zwischen Arbeitsalltag und privater Lebensführung durch zunehmende Verantwortungsübertragung auf das arbeitende Subjekt gemeint. Dies wirkt sich räumlich, zeitlich und hinsichtlich der Nutzung von Arbeitsmitteln aus und ist durch ständige Verfügbarkeit der Arbeitskraft gekennzeichnet. Die Flexibilisierung der Arbeitserbringung wird bei einem prinzipiellen Machtgefälle zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Zweifelsfall immer zuungunsten des Arbeitnehmers ausgehen und letztlich Autonomieverlust bedeuten. Für die Streitkräfte liegt hier der Fall aber etwas anders, da durch das Maßnahmenpaket zur Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber, z. B. in Form von Gesundheitsförderung, familienfreundlichen Arbeitsbedingungen (u.a. Telearbeit, Gleitzeit), aber auch durch Maßnahmen zur Vermeidung von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz und zur Verbesserung der Inklusion von Schwerbehinderten und ihnen Gleichgestellten eher Formen der Begrenzung bisher entgrenzter Arbeitsbeziehungen (insbesondere in ehemals kasernierten Dienstverhältnissen) realisiert werden. Verstärkt zeigen sich die Tendenzen zur Flexibilisierung im aktuellen Corona-Geschehen, was eine bisher nicht gekannte Ausweitung der Arbeitsflexibilisierung, z. B. Telearbeit und anderen Formen des „Homeoffice“ mit sich gebracht hat. Dies führt zu einer partiellen Aufhebung der, für die Moderne kennzeichnenden, Trennung von Haushalt und Betrieb – als getrennte Räume gesellschaftlicher Differenzierung – und zur Intensivierung bestehender Tendenzen der Entgrenzung von Arbeit (Elbe/Erhardt 2020). Das klassisch entgrenzte Dienstverhältnis des Soldaten wirkt allerdings ohnehin im Übungsbetrieb und in Einsätzen, wobei Soldatinnen und Soldaten hier zwar zeitliche und finanzielle Ausgleichsansprüche haben – insgesamt aber doch eine weiterhin zunehmende Tendenz zur Entgrenzung von Arbeit im Militär festzustellen ist.

  • Wandel der Bedeutung von Statusgruppen 

Trotz der Abnahme von Gewalt in der Gesellschaft konnten sich Angehörige des Militärs über lange Zeit gesellschaftliche Anerkennung sichern, die sich in Zugängen zu politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Führungs- und Entscheidungspositionen ausdrückte. So waren nach dem preußischen Hofrang-Reglement (Stillfried-Alcántara 1877) alle Offiziere hoffähig. Heute kennzeichnet Geißler (2014) die Eliten in Deutschland prinzipiell als Aufstiegseliten, wobei er feststellt, dass das Militär mit seinen Führungskräften eher am Rand der Macht- und Entscheidungsstrukturen angesiedelt ist. Die Spitze der Militäreliten, die Generalität, war im vergangenen 20. Jahrhundert erstaunlich stabil, was die intergenerationale soziale Mobilität betrifft, und dabei Teil der Bildungselite des Landes (Loch 2020). Eine deutlichere Aufstiegsorientierung bildete sich innerhalb des Militärs und hier insbesondere zwischen den Dienstgradgruppen heraus (Elbe 2018), was mit einer Aufwertung der Spitzendienstgrade der mittleren Dienstgradgruppen (Unteroffiziere mit Portepee und Fachdienstoffiziere) einherging. Aus der Zugehörigkeit zum Militär lässt sich heute kein spezifischer Statusgewinn ableiten, ggf. aber ein Bildungsgewinn. So gehören auch heute noch Offiziere und ehemalige Offiziere zur akademisierten Bildungselite, wobei sie in ihren Karriereaussichten aus dem Durchschnitt der Akademiker – auch des jeweils selben Fachgebietes – herausragen (Elbe 2019b).

  • Re-Mythologisierung des Soldatischen

Wenn das Wesen des Soldaten der Kampf ist und Krieg sein Geschäft, dann stellt dies eine Besonderheit im gesellschaftlichen Leben dar, die einer Rechtfertigung, einer spezifischen Sinnzuschreibung bedarf. Nach Münkler (2009; kritisch hierzu Minkmar 2009), übernehmen Mythen diese Funktion, sie verleihen der (blutigen) Tätigkeit des Soldaten Sinn. Die Mythen unterschiedlicher Religions- und Sagenkreise, wie z. B. der Kampf zwischen David und Goliath in der Bibel oder die Nibelungensage, erzählen von Helden, deren Kampf sinnhaft, weil mutig oder edel, war, und hieraus rechtfertigt sich dann die Tötung des Gegners und das Dasein als Kämpfer oder Soldat. Münkler (2009) sieht auch den Trost bei existentieller Gefahr, den der Mythos spendet, wenn der Held selbst zum Opfer des Krieges oder seines (Über-)Muts wird. Dieser Mut und diese Opferbereitschaft werden vielfach symbolisch einer gewissen, überschaubaren Zahl von Individuen angeheftet, z. B. indem ihnen Orden oder sonstige symbolische Auszeichnungen (und ggf. auch nur Be-Zeichnungen, wie z. B. Veteran) verliehen werden. Minkmar (2009) wendet sich aber dagegen, dies mit anderen Symbolen der Konsumgesellschaft analog zu setzen: Konsumgüter (wie ein Mercedes, die D-Mark oder anderes) zielen auf Status und Komfort, also auf physisch Angenehmes. Auszeichnungen wie Orden künden dagegen von der Bereitschaft, das eigene Leben und das Leben von anderen zu opfern. In den ersten 35 Jahren der Geschichte der Bundeswehr war für diese Form der Mythologisierung wenig Platz, Opferbereitschaft war primär an den militärischen Widerstand des 20. Juni 1944 geknüpft, der Mythos nicht mit individuell vorzeigbaren Symbolen verknüpft. Das hat sich in den letzten 30 Jahren geändert, inzwischen gibt es zahlreiche Orden und Einsatzmedaillen der Bundeswehr und die zunehmende Bereitschaft sich in Teilen des Militärs und seines Führungsnachwuchses wieder am Mythos des Soldats als Kämpfer zu orientieren, zeigt sich u. a. im Band von Bohnert und Reitstetter (2014).

  • Politische und soldatische Identitäten

Dass Soldaten tendenziell konservativer sind als der Durchschnitt der Bevölkerung, haben verschiedene Untersuchungen seit den 1950er Jahren gezeigt (zuletzt Bulmahn et al. 2010). Sowohl in der Zustimmung zu konservativen Werten als auch in der angegebenen Wahlpräferenz lässt sich ihre politische Identität als gemäßigt-konservativ beschreiben. Die zuletzt befragten studierenden Soldaten an den Universitäten der Bundeswehr zeigten sich rechtspopulistischen Aussagen gegenüber weniger aufgeschlossen als ihre nicht-militärischen Altersgenossen (Bulmahn et al. 2010). Es ist nachvollziehbar, dass die soldatische Identität mit einem dem zu verteidigenden Staatswesen aufgeschlossenen Verständnis einhergeht, allerdings kommen in den letzten Jahren immer wieder Tendenzen zu radikalen politischen Einstellungen und Vergemeinschaftungspraktiken zu Tage, die Schlagzeilen machen. Dies gilt es sozialwissenschaftlich zu untersuchen. Hierbei muss es allerdings auch um die Frage gehen: Wie sieht es um die soldatische Identität generell aus? Wie Leonhard (2007) feststellt, bezieht sich die soldatische Identität bei Bundeswehrsoldaten, außer auf das Potenzial kollektiver Gewaltausübung, in besonderem Maße auf das militärische Führungsprinzip von Befehl und Gehorsam und somit auf das Spannungsverhältnis zwischen ‚geführt werden‘ und ‚selber führen‘. Dies geht mit der grundsätzlich konservativen Ausrichtung konform. Leonhard (2007) unterscheidet in ihrer qualitativen Analyse anhand von 55 Interviews schließlich vier Typen soldatischer Identität: Soldatsein als Alternative zum Zivilberuf, Soldatsein als Karriere, Soldatsein als Lebenswelt und Soldatsein als Mission. Hierbei ist der Identitäts-Typ Soldatsein als Karriere mit 25 Interviewten am häufigsten, der Identitäts-Typ Soldatsein als Alternative zum Zivilberuf mit 16 Interviewten der zweithäufigste. Insgesamt zeigen 41 von 55 befragten Soldaten eine erwerbsinduzierte Berufsidentität und nicht eine gesinnungsspezifische. Dies ist nicht weiter verwunderlich, handelt es sich doch bei Bundeswehr in großen Teilen um eine Armee von Zeitsoldaten – die absolute Majorität scheidet nach Ablauf einer begrenzten Verpflichtungszeit wieder aus (Elbe 2019b) und nutzt die Bildungsangebote des Militärs zur Verbesserung ihrer Chancen auf dem zivilen Arbeitsmarkt.

  • Veränderung des soldatischen Professionsverständnisses

Inwiefern ist dies mit einer Veränderung des soldatischen Professionsverständnisses verbunden? Charles Moskos (1982) startete diese Diskussion Ende der 1970er Jahre und verglich ‚Institution‘ mit ‚Occupation‘ als gegensätzliche Modelle militärischer Sozialisation. Während der Institutionsbegriff deutliche Aspekte von Professionalisierung und konservativer Werteorientierung aufweist und sich besonders an der Gemeinschaft und der soldatischen Opferbereitschaft ausrichtet, ist das Occupation-Modell eher am Berufsalltag mit seiner zeitlichen Begrenztheit orientiert und akzeptiert sowohl Organisations- als auch Berufswechsel im Lebenslauf. Moskos (1982) geht hierbei vom Wandel der amerikanischen Streitkräfte von einer Wehrpflicht- hin zu einer Freiwilligenarmee im Jahr 1973 aus. Der Übergang von erzwungener Mitgliedschaft hin zu freiwilliger Mitgliedschaft im Militär prägt seitdem die Diskussion um das Wesen des Soldatenberufes. Zahlreiche Armeen (auch die Bundeswehr 2011) haben diesen Wechsel seitdem vollzogen, und es lassen sich nur wenige Beispiele finden, wo dies wieder rückgängig gemacht wurde (z. B. Schweden 2018). Letztlich trägt das institutionelle Professionsverständnis von Soldaten nur, wenn sie das Soldat-Sein als Lebenswelt bzw. als Mission verstehen und aktiv Soldateninnen und Soldaten sind.

 

Diese Facetten der Veränderung soldatischen Seins sind Kräfte im Lebensraum der Soldaten, die mit unterschiedlicher Intensität und durchaus auch in unterschiedliche Richtungen wirken. Für Soldaten und Soldatinnen heute zeichnet sich damit ein Bedeutungswandel in der soldatischen Profession ab. Bleibt es nun trotzdem beim „Universal Soldier“ – oder sehen wir nun einen grundlegenden Wandel? Lassen Sie uns hierüber im AMS-Newletter diskutieren. Ich freue mich auf Ihr Feedback und Ihre Kommentare, die wir entsprechend in der nächsten Ausgabe des Newsletters dokumentieren werden. 

 

Literatur

Bohnert, Marcel/Reitstetter, Lukas (Hg.) (2014): Armee im Aufbruch: Zur Gedankenwelt junger Offiziere in den Kampftruppen der Bundeswehr. Berlin: Carola Hartmann Miles Verlag.

Bulmahn, Thomas/Fiebig, Rüdiger/Wieninger, Victoria/Greif, Stefanie/Flach, Max/Priewisch, Manon (2010): Ergebnisse der Studentenbefragung an den Universitäten der Bundeswehr Hamburg und München 2007 (SOWI-Forschungsbericht 89). Strausberg: SOWI.

Bundesministerium der Verteidigung – BMVg (2017): A-2600/1 Zentrale Dienstvorschrift. Innere Führung: Selbstverständnis und Führungskultur. Berlin: BMVg FüSK III 3.

Deutscher Bundestag (2017): Die europäische Sicherheitsarchitektur im Wandel. Organisatorische Maßnahmen und institutionelle Veränderungen als Reaktion auf den Ausgang der US-Präsidentschaftswahl, den ‚Brexit‘ und insbesondere auf die Migrationsströme nach Europa. Dokumentation WD 2 – 3000 – 022/17. Berlin: Deutscher Bundestag.

Elbe, Martin (2018): Employography: Zur verwalteten Biographie von Soldaten. In: Schilling, Elisabeth (Hg.): Verwaltete Biographien. Wiesbaden: Springer VS, S. 171–194.

Elbe, Martin (2019a): Gewalt und Ethik als Bezugsgrößen militärischen Handelns – eine militärsoziologische Betrachtung. In: Groß, Johanna (Hg.): Soziologie für den öffentlichen Dienst (II): Konflikt und Gewalt in öffentlichen Organisationen. Hamburg: Maximilian, S. 26–40.

Elbe, Martin (Hg.) (2019b): Duale Karriere als Institution. Perspektiven ziviler Karrieren ehemaliger Offiziere. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag.

Elbe, Martin (2019c): Consequences of Leadership Behavior for Job Satisfaction and Health in the Bundeswehr. In: Wehrmedizinische Monatsschrift, 6(63), S. 186–193.

Elbe, Martin/Erhardt, Ulrich (2020): Konstruktive Organisationsentwicklung: Menschen verstehen, Organisationen gestalten, Lernkulturen entwickeln. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. [im Erscheinen]

Elbe, Martin/Richter, Gregor (Hg.) (2019): Personalmanagement in der Bundeswehr. Grundlagen, Strategien, Kompetenzen. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag.

Elias, Norbert (1997): Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchung. 2 Bände. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Geißler, Rainer (2014): Rolle der Eliten in der Gesellschaft. In: Informationen zur politischen Bildung Nr. 324: 4/2014, S. 24-29. 

Haltiner, Karl/Kümmel, Gerhard (2008): Wozu Armeen? – Europas Streitkräfte von neuen Aufgaben. Baden-Baden: Nomos.

Kennert, Matthias (2015): Die Mär von der multipolaren Weltordnung. Hegemonie in der Sicherheitspolitik des 21. Jahrhunderts. Arbeitspapier Sicherheitspolitik, Nr. 5/2015. Berlin: Bundesakademie für Sicherheitspolitik.

Kondratjeff, Nikolai (1926): Die langen Wellen der Konjunktur. In: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 56, S. 573–609. 

Kümmel, Gerhard (Hg.) (2012): Die Truppe wird bunter: Streitkräfte und Minderheiten. Baden-Baden: Nomos.

Leonhard, Nina (2007): Berufliche Identität von Soldaten. Eine qualitative Untersuchung von jungen männlichen Soldaten der Bundeswehr aus den neuen und alten Bundesländern. Gutachten 3/2007. Strausberg: SOWI.

Loch, Thorsten (2020): Deutsche Generale 1945 bis 1990. Profession – Karriere – Herkunft. Berlin: Ch. Links. [im Erscheinen]

Minkmar, Nils (2009): Gemütliche Theorie. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Online unter: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/f-a-z-fruehjahrsbuecher-2009/sachbuch/herfried-muenkl er-die-deutschen-und-ihre-mythen-gemuetliche-theorie-1928183.html?printPagedArticle=true# pageIndex_2, zuletzt abgerufen am 01.10.2019.

Mondaschel, Manfred/Voß, Günter (Hg.) (2003): Subjektivierung von Arbeit. Zweite Auflage. München: Hampp.

Münkler, Herfried (2009): Die Deutschen und ihre Mythen. Berlin: Rowohlt. 

Ogburn, William (1969): Kultur und sozialer Wandel. Neuwied: Luchterhand.

Pinker, Steven (2011): Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.

Richter, Gregor (2016): Wie attraktiv ist die Bundeswehr als Arbeitgeber? Ergebnisse der Personalbefragung 2016 (ZMSBw-Forschungsbericht 113). Potsdam: ZMSBw. Online unter: http://www.zmsbw.de/html/publikationen/sozialwissenschaften/forschungsbberichte.

Robertson, Roland (1998): Glokalisierung: Homogenität und Heterogenität in Raum und Zeit. In: Beck, Ulrich (Hg.): Perspektiven der Weltgesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 192–220.

Stillfried-Alcántara, Rudolf von (1878): Ceremonial-Buch für den Königlich Preußischen Hof. 10. Hof-Rang-Reglement. Berlin: Decker. 

Voß, Günter (1998): Die Entgrenzung von Arbeit und Arbeitskraft. Eine subjektorientierte Interpretation des Wandels der Arbeit. In: MittAB 3(31), S. 473–487. 

Martin Elbe

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